Versöhnung über den Gräbern

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Immer noch werden Gebeine von Soldaten mit DNA-Analysen identifiziert, sodass immer wieder eine Grabinschrift „Ein deutscher Soldat“ gegen einen Namen ausgetauscht werden kann, erfahren die 25 Schüler*innen des Niederländischkurses (Jahrgang 13) von Elke Teneyken-Wintzen einen Tag nach „Allerheiligen“. Die Gruppe besucht am 2. und 3. November 2021 die „Deutsche Kriegsgräberstätte Ysselsteyn“ (25 km  nordwestlich von Venlo in der Provinz Limburg) die vom Volksbund Deutscher Kriegsgräberfürsorge e.V. seit 1976 unterhalten wird:

„Die Toten dieses Friedhofs mahnen zum Frieden.“

Ein paar knallharte Fakten über den einzigen Friedhof für deutschen Soldaten in den Niederlanden, die wir während einer Führung mit dem pädagogischen Mitarbeiter Jan Heemels und der Praktikantin Neele Teneyken unter anderem erfahren:

  • 116 Blöcke zu je 12 Reihen mit 25 Gräbern
  • Friedhofsgröße: 28 Hektar
  • Altersdurchschnitt: 23 Jahre
  • Rund 32.000 Gräber, die meisten von Wehrmachts-Soldaten aus dem Zweiten Weltkrieg (aber auch Zivilisten), davon:
  • 5000 für den „unbekannten Soldaten“, die noch nicht identifiziert sind,
  • 550 niederländische Kollaborateure,
  • 2000 bis 3000 Mitglieder der SS (Schutzstaffel)
  • ungefähr 1100 Kindersoldaten, also Soldaten unter 18 Jahre
  • „nur“ 120 Frauengräber
  • 87 Kriegsgräber aus dem Ersten Weltkrieg
  • der 10. Mai 1940 ist der verlustreichste Tag der Wehrmacht in den Niederlanden
  • das älteste Kriegsopfer ist das Grab eines 90-Jährigen
  • das jüngste Kriegsopfer ist das Grab eines wenige Stunden jungen Babys (Josef Meijer, 20.2.45-21.2.45, siehe Foto)

„Mich hat besonders beeindruckt, dass alleine hier  rund 32 000 Einzelschicksale liegen – die Vorstellung, dass dieser Krieg sechs Jahre lang jeden Tag so viele Opfer forderte, also 32 000!,  macht diesen Platz zu einem ergreifenden Mahnmal“, resümiert Niederländisch-Lehrerin Teneyken nachdenklich.

Holländischer Zeitzeuge zu Besuch

Nach dem Rundgang über den Friedhof kommt  die Gruppe mit dem 92-jährigen Zeitzeugen Harry Bloemen zusammen. Weil er so groß und kräftig war, musste er schon mit 15 Jahren als Schanzer  arbeiten, das heißt also, Schützengräben ausheben. Aus diesem Arbeitsdienst gelang ihm die Flucht. Erst durch die selbstlose Heldentat eines deutschen Fallschirmjägers konnte er aus dem Frontgebiet östlich der Maas ans bereite  Westufer flüchten. Sein Retter, der auf diesem Wege etwa 10 Menschen gerettet hatte, wurde deswegen einen Tag später standrechtlich in einem Garten mit einem Kopfschuss erschossen und verscharrt. Dieser Moment ist der Moment der Versöhnung, wie es durch das Motto der Friedhofsanlage ausgedrückt wir: „Versöhnung über den Gräbern“!

Bilanz – Eindrücke der Schüler*innen

Auf der Exkursion mit dabei sind: Azra, Dominic, Ebru, Emma, Fynn, Joschua, Julian G., Julian Sch, Justin, Karen, Kevin, Kristin, Lara, Lilian, Maike, Malin, Manuel, Melanie, Melina, Merlin, Nick, Niklas, Sina, Tessa und Tim. Ein paar Eindrücke:

Manuel Klaps: „Es war spannend, in den Workshops einige Einzelschicksale kennen gelernt zu haben und  am Grab des Betroffenen Kriegsopfer zu präsentieren. Vor allem die Einzelschicksale der Minderjährigen, jünger als wir selbst, machen mich sehr betroffen.“

Julian Schatten: „Als wir vor dem Grab des Opfers standen, das nur wenige Stunden gelebt hat, war ich sprachlos! – Ich wusste nicht, wo ich anfangen sollte, darüber nachzudenken. Soviel Leid und Trauer kann man nicht fassen und begreifen!“

Karen Stelzer: „Ich habe gemischte Gefühle, wenn ich über den Friedhof laufe! Ich weiß nicht, wie ich darüber denken soll, dass hier auch Kriegsverbrecher liegen.“

Malin Ließem: „Es ist ein erdrückendes Gefühl, auch, weil man nicht immer weiß, wer es verdient hat, geehrt zu werden und wer nicht!“

Tim von Hecken: „Es waren sehr aufschlussreiche und informative 24 Stunden, die wir mit dem Team des Soldatenfriedhofs verbracht haben!“

Nick Nemitz: „Die Anzahl der Gräber ist überwältigend. Ich empfinge diesen Friedhof als Anreiz, draus eine Lehre zu ziehen.“

Nie wieder Krieg!

Die zweitägige Exkursion endet mit einem Besuch im Kriegsmuseum in Overloon.

Jeder einzelne Schüler und jede einzelne Schülerin wird für sich sicher „eine Lehre“ – wie Nick es beschrieb – aus der Exkursion ziehen. Eine Lehre, welche das Team der deutschen  Kriegsgräberstätte Ysselsteyn sehr gerne vermitteln möchte (und deswegen auch als Aufkleber hat drucken lassen) ist ein Zitat von Albert Schweitzer:

„Die höchste Erkenntnis, zu der man gelangen kann, ist Sehnsucht nach Frieden.“

Julietta M. Breuer