#WeRemember – Gedenkstunde im Landtag mit Überlebenden Tamar Dreifuß

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Zur Gedenkstunde des Landtags und der Landesregierung NRW am „Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus`“ hatte Dr. Marcus Optendrenk,  Hauptausschuss-Vorsitzender im Landtag NRW, zwei Gäste aus seinem Wahlkreis eingeladen; Stellvertretend für das vielfältige Engagement zur Erinnerungskultur in Nettetal: Vera Gäbler, Ortsvorsteherin in Breyell, und Julietta Breuer, Geschichtslehrerin an der Gesamtschule Nettetal, durften auf der Besuchertribüne des  Plenarsaals Platz nehmen.

Foto: Jan-Niklas Hoelters

Im Gespräch mit seinen beiden Gästen unterstricht Optendrenk die Bedeutung der Erinnerungskultur mit dem „geflügelten Wort“  des französischen Schriftstellers André Malraux: „Wer die Zukunft lesen will, muss in der Vergangenheit blättern.“ Dieses Engagement entspricht besonders dem Gedanken von #WeRemember.

Mit persönlichen Begegnungen das Herz erreichen

Hendrik Wüst, Ministerpräsident des Landes NRW, erklärte in seiner Ansprache, wie wichtig die Erzählungen von Zeitzeugen und Zeitzeuginnen seien, denn „persönliche Begegnungen berühren das Herz“! Die Corona-Kampagnen mit Judensternen sei eine „Anmaßung“, „abstoßend und unerträglich“. Er appellierte daran, Mut zu entwickeln, der Minderheit zu widersprechen; die Minderheit sei laut, die Mehrheit aber vielfältig und tolerant! In NRW gebe es 29 NS-Gedenkstätten. Wüst versicherte, diese Arbeit und die Zusammenarbeit mit Schulen weiterhin zu fördern, da „persönliche Begegnungen nur schwer zu ersetzen“ seien.

Zeitzeugin Tamar Dreyfuß (*1938)

Höhepunkt war die Gedenkrede der Überlebenden des Holocaust/der Shoa, der 84-jährigen Tamar Dreifuß (geboren 1938 in Litauen), deren Vater im KZ ermordet worden war. Ihre Mutter hingegen konnte mit ihr flüchten. Oft habe Dreifuß sich gefragt: Wieso habe ich überlebt? Wieso lebe ich? Im Gedenken an ihre Mutter, einer sehr starken Frau, formulierte sie die bedeutsamen Sätze: „Die Hand meiner Mutter war wie ein Fels in der Brandung!“ Und: „Du, Mutter, hast mir den Mut gegeben!“, „Der Mut meiner Mutter hat uns gerettet!“

Dreyfuß erzählte: in Wilna sei sie geboren, in Israel habe sie nach der „schrecklichsten Tat der Geschichte“ eine glückliche Jugend gehabt, aber Deutschland sei ihre Aufgabe! Deswegen besuche sie seit fast 25 Jahren Schulen, denn sie wolle ausdrücklich Kinder und Jugendliche erreichen und aufklären, „nicht die Großen“!

Sehr große Freude empfinde Tamar Dreifuß beim Besuch von Grundschulen, wenn die Kinder nach der Geschichte „Die wunderbare Rettung der kleinen Tamar“ Bezüge zu Märchenfiguren herstellten, die ebenfalls auf wundersame Weise gerettet worden seien, wie das Rotkäppchen oder die Prinzessin, die nach 100 Jahren wieder erwacht sei.

Didaktische Überzeugungen von Dreyfuß

Der Wahl-Münchenerin Dreyfuß ist es absolut unverständlich, dass ihr 13-jähriger Enkel bisher noch nichts von den besagten Gräueltaten in der Schule erfahren habe. Natürlich wisse er viel darüber, aber das habe sie selbst ihrem Enkel erzählt. Das Thema gehöre an die Schulen, müsse auch unter den Jüngeren vermittelt werden – selbstverständlich „kindgerecht“: „Das Ziel ist die Gleichheit der Menschen! Die Würde ist das Kostbarste! Jeder muss lernen, sich zu seiner Nation zu bekennen!“

Erleben am Ort des Grauens in Polen

Abraham Lehrer, Vorsteher der Synagogen-Gemeinde in Köln, berichtete, über die „schlimmste Ära der Menschheitsgeschichte“ sei Zuhause nie gesprochen worden: „Wir reden nicht darüber!“ – so sein Vater.  Erst mit über 50 Jahren habe Abraham Lehrer die Kraft gehabt, nach Polen zu reisen. Seine Erinnerungen an seinen Besuch im Vernichtungslager „Auschwitz“ (Oswiecim/Polen) waren sehr bewegend; die Zuschauerschaft spürte, wie er die herausragenden Momente wieder erlebte: Ausgerechnet „die Baracke meiner Mutter“ sei erhalten geblieben. Die wenigen Minuten, sie zu betreten, hätten ihn umgehauen!

Auschwitz-Exkursionen an der Gesamtschule Nettetal

Auf der Zuschauertribüne trafen die ehemalige Schulministerin von NRW, Politikerin Sylvia Löhrmann, und Geschichtslehrerin Julietta Breuer zusammen. Breuer erinnerte daran, dass die erste Begegnung fast auf den Tag genau neun Jahre zurückliege: 2013 begegneten  sich Löhrmann und Breuer anlässlich der allerersten Exkursion von Schülerinnen und Schülern der Gesamtschule Nettetal in der „Gedenkstätte Oswiecim“ im „Zentrum für Dialog und Gebet“, gemeinsam mit  Pfarrer Manfred Deselaers (gebürtig aus Viersen) und Vertreterinnen und Vertretern der Stiftung „Erinnern ermöglichen“. Löhrmann versicherte, dass die  „Erinnerungskultur“ bis heute für sie ein „Lebensthema“ geblieben sei.

Foto: Vera Gäbler

Die Exkursionen nach Auschwitz haben sich an der Gesamtschule Nettetal mittlerweile etabliert und werden heute vom Geschichtslehrer Dorian Golla durchgeführt, der die Fahrten auch mit einem Besuch nach Krakau verbindet. Dadurch ermöglicht er Einblicke in die jüdische Kultur, die in Nettetal nach 1945 ausgestorben ist.

Ausblick – Rolle des Landtages NRW

Die Kampagne #WeRemember wurde vom Jüdischen Weltkongress und der UNESCO ins Leben gerufen und erinnert an die Millionen Jüdinnen und Juden, die im Nationalsozialismus ermordet wurden.

Optendrenk erläuterte uns über die Rolle des Landtages NRW: „An dieser internationalen Aktion beteiligte sich heute auch unser Landtag in Nordrhein-Westfalen im Rahmen der Gedenkveranstaltung und eines gemeinsamen Antrags im Plenum.“

Weiterführende Hinweise zum Anliegen von Dreyfuß

Die Überlebende Tamira Dreifuß (geborene Rosenzweig) hat das Buch ihrer Mutter aus dem Jiddischen ins Deutsche übersetzt:

Jette Schapiro-Rosenzweig: Sag niemals, das ist dein letzter Weg; Flucht aus Ponar – eine Mutter und ihre kleine Tochter kämpfen ums Überleben; aus dem Jiddischen von Tamar Dreifuß, Zell 2018 (3. Auflage).

Möglichkeiten, das Thema Holocaust/Shoa an Grundschulen kindgerecht zu behandeln, zeigt im Kreis Viersen die jüngste Initiative der GGS Dependance Krefelderstraße in Zusammenarbeit mit der „Förderung der Erinnerungskultur Viersen e.V. 1933-1945“. Dazu gibt es  sehr beeindruckende Beiträge im Netz:

Julietta M. Breuer