Mit einer Gedenkveranstaltung “Gegen vergessen und wegschauen” wurde an die Deportation nach Riga vor genau 80 Jahren erinnert
Auf eine Initiative der Breyeller Ortsvorsteherin Vera Gäbler und Rolf Ingenrieth (“Breyell Kultur”) erinnerten Schülerinnen und Schüler des 13. Jahrgangs der Gesamtschule Nettetal unter Leitung ihrer Geschichtslehrerin Julietta Breuer an ein historisches Breyeller Ereignis, das auf den Tag genau 80 Jahre zurücklag: Am 10. Dezember 1941 vermeldete die Breyeller Gemeindeverwaltung mit den Worten “Die Juden sind heute abtransportiert worden” die Deportation der Breyeller Juden in das Ghetto Riga/ Lettland. Von diesen hat keiner überlebt. Die meisten wurden dort ermordet, darunter alle Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene. Einige wurden in das KZ Stutthof deportiert und dort ermordet.
Im Zusammenhang mit der Schilderung dieser und weiterer konkreter Geschehnisse in Form von szenischen Darstellungen zur bedrückenden Musik aus “Schindlers Liste” mahnten die Schülerinnen und Schüler auch eine erweiterte Erinnerungskultur an, die nicht nur nach hinten, sondern vor allem auch nach vorne gerichtet sein muss: “Erinnern für heute und morgen” – wie es auf dem Mahnmal der ehemaligen Synagoge in Breyell, an der die Gedenkveranstaltung stattfand, heißt.
Ausgewählte Fragen, die sie auch an die recht vielen Teilnehmer*innen der Besinnungs- und Gedenkstunde aus Kirche, Politik und örtlicher Kultur stellten, waren unter anderem: Was müssen wir ganz allgemein aus der Vergangenheit für die Gegenwart und Zukunft lernen? Wie behandeln wir heute unsere Mitmenschen? Wie gehen wir mit Ausländerinnen und Ausländern um? Wie mit Farbigen, wie mit Homosexuellen und anderen Minderheiten? Die Veranstaltung endete mit dem Appell: Wir wollen uns gegenseitig als Menschen respektieren. Heute spalten wir unsere Gesellschaft nicht mehr in unterschiedliche Gemeinschaften – denn was uns ausmacht, ist das Mensch-Sein.
Rolf Ingenrieth, GN, 23.12.2021
Video von der Veranstaltung (YouTube)
Fotos von der Generalprobe (Fotos: Joschua Schmitz)
Beitrag der Gesamtschule
10.12.2021 – 80 Jahre – Deportation nach Riga – Beitrag der Gesamtschule Nettetal Nach kurzer Ansprache der Ortsvorsteherin von Breyell, Vera Gäbler, Aktion der Schüler*innen der Grund- und Leistungskurse Geschichte, Jahrgang 13 mit ihrer Lehrerin Julietta Breuer , zur Musik aus „Schindlers Liste“ kleiner Rundgang von „Opfern“ (mit Judenstern und Koffern) und mit Tätern (mit roter Oberarmbinde). Danach wird folgender Text vorgetragen: | |
Breuer | Wie das Vieh werden wir behandelt, müssen auf der Straße gehen, dürfen die Bürgersteine nicht mehr benutzen. |
Julian | Wir stehen in der nassen Halle im Schlachthof in Düsseldorf-Derendorf – ca. 24 Stunden, einen ganzen Tag lang. |
Nina | Jeder einzelne von uns wird einer Leibesvisitation unterzogen, |
Nick | es werden uns alle wertvollen Sachen, doppelte Leibwäsche und das gesamte Reisegepäck abgenommen, ebenso alle Papiere |
Gabi | Am anderen Morgen, am 11. Dezember, stehen wir stundenlang an einem Düsseldorfer Güterbahnhof |
Lara | Unsere Kinder liegen im Schnee und weinen. |
Norman | [Dann] fährt der Extrazug nach Riga ab. Wir sind 3 Tage unterwegs in einem unbeheizten Zuge ohne Wasser und Verpflegung. |
Zoe | Abends kommen wir in Riga an und werden bei [minus] 40 [Grad] Kälte erst am anderen Morgen ausgeladen – Skirotava Güterbahnhof. |
Gäbler | Und was geschieht nach der Deportation nach Riga? |
Breuer | Zwei Jahre später, am 2. November 1943 wird das Ghetto in Riga aufgelöst, die Überlebenden werden ab Juni 1943 in das KZ Riga-Kaiserwald gebracht. |
Julian | Am 28. Juli 1944 findet die sogenannte Krebsbach-Aktion statt. Die bei dieser Aktion federführenden SS-Angehörigen Krebsbach und Wisner lassen die Häftlinge in Kolonnen antreten. Die Männer erhalten den Befehl, vor dem SS-Personal hin- und herzulaufen. |
Nina | Wer nicht schnell genug läuft, wird ausgesondert. Per Handzeichen bestimmen Wisner und Krebsbach die zum Tode bestimmten. […] |
Nick | Der Selektion, die den ganzen Tag andauert, fallen bis zu 1000 Männer und Frauen, überwiegend Ältere und Schwache zum Opfer. |
Gabi | 34 von 43 Nettetaler Juden werden in Riga ermordet, darunter alle Kinder, Jugendliche und jungen Erwachsenen 6 überleben Riga und werden ins KZ-Stutthof gebracht und dort ermordet. |
Lara | Am 6. August 1944 müssen wir plötzlich alle antreten. Man bringt uns zum Hafen, und wir sehen einen großen Ostseedampfer, einen Truppentransporter, in den wir hineingetrieben werden. Nach dreitägiger Fahrt kommen wir in Danzig an. Dort werden wir mit Stockhieben ausgeladen und in Kähne verfrachtet bis Stutthof. |
Norman | Nachdem wir auch hier mit Stockhieben ausgeladen wurden, geht der Weg in das KZ-Stutthof, eine Welt für sich, unübersehbar groß – [PAUSE!] |
Zoe | Nur Elisabeth Lion aus Kaldenkirchen, die Mutter von Hedi, überlebt sowohl Riga als auch Stutthof und kehrt zurück nach Kaldenkirchen. |
Und heute? 80 Jahre später? | |
Breuer | Auf dem Mahnmal steht die Inschrift: „Erinnern für heute und morgen“. Was können wir heute in unserer Gegenwart tun? Wie behandeln wir heute unsere Mitmenschen? |
Julian | Wie gehen wir heute mit Ausländer und Ausländerinnen um? – |
Nina | … mit Asylbewerber und Asylbewerberinnen ? – |
Nick | … mit sozial Schwachen um? – |
Gabi | … mit Flüchtlingen um? – |
Lara | Wie gehen wir HEUTE mit jüdischen Menschen um) – |
Norman | … mit Farbigen ? – |
Zoe | … mit Homosexuellen ? … mit Diversen – Wie geh Wie gehen wir heute mit Behinderten und körperlich Benachteiligten um? – |
Breuer | Was können wir tun? Wie können wir agieren? Handeln? |
Julian | Wir können offen auf Mitmenschen zugehen, … |
Nina | … andere Menschen nicht ausgrenzen … |
Nick | … Menschen, die anders denken oder anders aussehen, nicht diskriminieren! |
Gabi | Wir können Schwächere unterstützen, hilfsbereit sein, Streit schlichten, keinen Hass verbreiten, auf Gewalt verzichten! |
Lara | Wir können tolerant sein gegenüber Andersgläubigen! |
Norman | Wir können Menschen, die anders denken und uns fremd sind, kennenlernen und dadurch unsere Vorurteile abbauen! |
Zoe | Wir MÜSSEN uns aber auch informieren, uns aufklären, informieren, vor allem über Politik!Parteiprogramme aufmerksam lesen, uns einmischen, mitdiskutieren, partizipieren, sensibel werden für undemokratische Einflüsse.demokratische Parteien wählen. |
Alle | Wir MÜSSEN uns alle gegen undemokratisches Verhalten zur Wehr setzen. [Symbolisch: alle reißen die roten Armbinden ab und werfen sie auf den Boden] |
Breuer | Wir sind heute zusammengekommen, weil heute am 10.12. jüdische Nettetaler Menschen nach Riga deportiert wurden. Heute, am 10. Dezember ist aber auch der „Tag der Menschenrechte“. Heute spalten wir unsere Gesellschaft nicht mehr in Religionsgemeinschaften – Juden, Moslems, Katholiken und andere Religionen – denn was uns ausmacht, ist das Mensch-Sein! [Symbolisch: die alle nehmen Judensterne ab] |
Alle | Wir wollen uns gegenseitig als Menschen respektieren! |
Hinweis auf diese Veranstaltung in der Rheinischen Post am 7.12.2021