Mit einem besonderen Höhepunkt ging unser elfter Jahrgang in die Sommerferien. Alle drei Deutschkurse hatten in Kleingruppen einen Poetry-Slam vorbereitet und in einer kursübergreifenden Veranstaltung gemeinsam durchgeführt.
Die Freude an der Sache war so groß, dass die Deutschlehrer:innen nun im neuen Schuljahr überlegen, diese Form des literarischen Wettbewerbs in der Einführungsstufe fest zu etablieren.
Was die Schüler:innen bewegt
Der thematische Rahmen war politische Lyrik. Die von den Schüler:innen selbst gewählte Unterthemen waren vielschichtig.
Es ging um Rassismus:
- „Mein bester Freund ist dunkelhäutig
Rassismus, wir schmeißen dich raus“, - „Ausländer raus. 33 lässt grüßen
Diskriminierung schreit, wenn keiner will“ - „Auch im Schweigen liegt die Gewalt“
- „Alle gleich
Menschen aus Fleisch und Blut“
Es ging um den unerträglichen Krieg:
- „Wo Brüder plötzlich Feinde sind
Die Straßen leer – kein Kinderlachen
Verlorene Kindheit“
Es ging um die EU-Wahlen und den Erhalt der Demokratie:
- „Ein Kreuz entscheidet viel
nicht schweigen, für Einheit stehn
in unserer Vielfalt liegt die wahre Macht“ - „Demokratie bröckelt leise
zwischen Lüge und Macht“
Es ging um die Klimakrise, um die Plastikmeere, um Tierversuche und um einen sehr bewegenden Vater-Sohn-Konflikt:
- „(…) Vater,
warum hast du mich lieb?
Magst du mich als Sohn?
Jetzt bin ich deine Tochter, Paula.
Jetzt zählen nur noch meine Regeln.“
Und es ging um das Schicksal der Frauen weltweit bis hin zur eigenen Familie. Dieses Schicksal der Hälfte der Menschheit hat die Jury am meisten überzeugt. (Kompletter Text weiter unten.)
Die Jury, das waren alle Schüler:innen des Jahrgangs selbst. Mit der Software PollUnit konnten sie digital für jeden Vortrag ein bis fünf Sterne geben, bis sich herausstellte, dass die Menge der Abstimmenden zu groß war. – Kurzes Überlegen der Deutschlehrer:innen, Catherine Grünemeyer, Lina Huhn, Karina Kursatz, – und schon war ein neuer Weg gefunden, um abzustimmen. Besonders Lina Huhn, Referendarin an unserer Schule, zeigte großes Engagement, um den lyrischen Beiträgen der Schüler:innen durch einen Poetry-Slam eine Bühne zu schaffen.
Der komplette Text des Sieger-Poetry Slams
von Jule, Julia und Zora:
Hast du eine Mutter?
Hast du eine Schwester?
Hast du eine Freundin?
In 15 Ländern darf ein männlicher Vormund
einer Frau alles vorschreiben.
Die Frau darf nichts alleine machen.
In Mindestens 29 Ländern ist Genitalverstümmelung
an jungen Mädchen kein Verbrechen.
In 43 Ländern ist Vergewaltigung in der Ehe
kein Verbrechen.
In 40 Prozent aller Ländern haben Frauen
nicht das Recht, eigenmächtig zu entscheiden,
ob sie abtreiben.
Bei uns hier in Deutschland ist das nicht so.
Aber wollen wir das hier auch?
Wollen wir uns dahin entwickeln?
Zurück entwickeln?
Mit elf fahre ich mit zwei Freundinnen zu Schule.
Ein Mann kommt aus einem Waldstück,
sieht uns an und masturbiert.
Mit fünfzehn tanzt mich ein Mann an,
nachdem er mein Alter weiß,
macht er trotzdem weiter .
Mit sechzehn werde ich in einer Bar von Männern
lieber nicht nach meinem Alter gefragt,
denn ich könnte ja minderjährig sein.
Mit sechzehn umarmt mich auf dem Schützenfest
ein fremder, älterer Mann ungefragt von hinten
und nutzt meine Betrunkenheit aus.
Mit sechzehn wird mir gesagt,
Frauen gehören hinter den Herd
und nicht in die Arbeitswelt.
Mit siebzehn wird mir gesagt,
ich solle keinen Ausschnitt tragen,
da ich es ja nur für Aufmerksamkeit der Männer tue.
Ich laufe nicht im Dunkeln durch die Nacht,
ohne mich umzudrehen,
aus Angst vor fremden Schatten.
Echte Männer wollen echte Frauen haben.
Feministinnen sind alle hässlich und grässlich.
Warum wird bei einer Frau ein „Nein“ nicht verstanden?
Warum darf ich mich nicht kleiden wie ich möchte?
Warum ist eine Frau, die mit Männern schläft, eine Schlampe, Männern aber nicht?
Warum ist Alter keine Grenze und
warum habe ich Angst, nachts alleine zu laufen?
Das hier ist kein Männerhass,
das hier sind persönliche Erfahrungen unterlegt mit Fakten.
Nicht jeder Mann ist übergriffig,
aber jede Frau hat solche Erfahrungen gemacht.
Dieses Stück könnte unendlich weiter gehen.
Aus euren Erfahrungen.
Unseren Erfahrungen.
Wir möchten ein Zeichen setzten.
Ein Zeichen für Feminismus.
Ein Zeichen für Emanzipation.
Ein Zeichen für Frauen.
Hast du eine Mutter?
Hast du eine Schwester?
Hast du eine Freundin?