1Große Beteiligung am ersten Aktionstag gegen Diskriminierung an der Gesamtschule Nettetal, drei Tage vor Ferienbeginn.
Der Bedarf ist groß! Für eines dieser Projekte hatten sich alleine 80 Schüler:innen angemeldet.
Die Ergebnisse des gestalterischen Workshops sind vor dem Haupteingang und vor allem im Pädagogischen Zentrum (PZ) sichtbar: „Du bist mehr als deine Noten“ und „Du bist wertvoll, egal, was auf deinem Zeugnis steht“, diese Zitate wurden mit Kreide auf dem Schulhof vor dem Haupteingang geschrieben.
Demokratie-Wanderung im Galgenvenn
In Begleitung der wanderbegeisterten ehemaligen Kollegin Maria Türks machten sich Schulleiter Dr. Leo Gielkens und 20 Schüler:innen aus der Einführungsphase (EF) auf den Weg durch den Grenzwald zwischen den Niederlanden und Deutschland. Eine Grenzregion, die kulturell und wirtschaftlich immer verbunden war und ist. Torf und Ton sind vorzufinden, genauso wie Kies und Sand. Und nach dem Zweiten Weltkrieg finden sich Niederländer wie Deutsche durch die Europäische Union in einem demokratisch geprägten Europa wieder.
Unterwegs wird über verschiedene Leitfragen diskutiert: Wo erlebe ich das Zusammensein zwischen Deutschen und Niederländern? Was verbindet uns? Was trennt uns? Wo erlebe ich Ausgrenzung und Differenz? Gielkens resümiert nach der Rückkehr: „Nach der 11-Kilometer-Wanderung gab es zufriedene Gesichter, einige sehr dreckige Schuhe und die Erkenntnis, dass uns viel mit unseren Nachbarn verbindet.“ Einer der teilnehmenden Schüler meint: „Europa bedeutet, ohne Grenzen miteinander leben, arbeiten und seine Freizeit verbringen! Hier bei uns vor der Haustür!“
Menschen einer Welt
Im Klassenverband malt die 9a mit Acryl-Farben an einer überdimensionalen Erdhalbkugel auf Holz, die wiederum von bunten Häusern umkreist wird. „An den Dächern oder Fenstern der Häuser wollen wir noch bunte Flaggen anbringen“, erklärt Nele, „weil wir viele Nationen an dieser Schule sind.“ „Ich habe Wurzeln in Moskau, meine Mama wurde da geboren, und mein Papa ist Deutscher“, erzählt Dima. Sedra, mit einem weißen, schleierartigen Kopftuch – „Weil ich das schön finde und meine Religion unterstützen möchte“ – holt ihr Handy heraus, in das sie die Wurzeln ihrer Klassenkamerad:innen gespeichert hat: „Ich komme auf fast zehn verschiedene Länder bei 26 Schülerinnen und Schülern in unserer Klasse: Albanien, Ägypten, Belgien, Deutschland, Italien, Niederlande, Polen, Russland und die Türkei.“ Klassenlehrerin Stephanie Bones ergänzt: „Und noch die Ukraine, Kroatien und Portugal!“
Um das riesengroße „Denkmal“ im PZ aufzuhängen, kommen ellenlangen Leitern, Rollen und Seile in Aktion.
Schullogo mit Sprüchen
In einem anderen Klassenraum malen einzelne Schüler:innen der Klassen 5 bis 9 Sprüche auf gleich großen Holzplatten. Sie sollen dann im Hintergrund mit den Schulfarben Hellblau und Gelb ausgemalt und so zusammengesetzt werden, dass das Schullogo mit dem hellblauen Fluss erkennbar ist.
Eine kleine Kostprobe:
„Roten sind rot
Veilchen sind blau
Rassismus ist blöd
Offenheit schlau“
(Anna, Jahrgang (Jg.) 9),
„Viele verschiedene Blumen ergeben einen Strauß“
(Nina, Jg. 5).
„Zusammen ist die Welt doch viel bunter“
Thea (Jg. 6)
Hannah (Jg. 6) erklärt, dass es am Anfang des Workshops eine Einweisung gegeben habe, wie Diskriminierung aussehen könnte, man könne wegen seiner Nation oder auch wegen seines Geschlechts ausgeschlossen werden. Schon ein merkwürdig fremdländisch klingender Nachname genüge, um irgendwo abgewiesen zu werden! „Dann sind wir durch die Schule gegangen und haben nach Zeichen gesucht. Wir haben drei oder vier Hakenkreuze gefunden, die wir sofort vernichtet haben“, meint Alessia (Jg. 6). „Ich habe früher schon mal ein Hakenkreuz gefunden, das habe ich Herrn Gielkens gezeigt“, erzählt Samantha aufgeregt. „Der hat dann einen Spatel genommen und daraus sofort ein Haus mit Sternen gezaubert.“
Logos und Plakate
An einem anderen Tisch arbeiten Fatima, Sofia und Julia (Jg.6) zum Thema „Logo-Entwicklung“ an einem Puzzle. Tom (Jg. 6) hat schon sein Straßenschild fertig: Wie an einem Ortsausgang ist im unteren waagerechten Bereich das Wort „Rassismus“ durchgestrichen, in der oberen Hälfte, wohin die Straße führen soll, steht „Schutz“.
Madlen (Jg. 6) gestaltet ein großes Plakat mit den Symbolen dreier Weltreligionen: Kreuz, Davidsstern, Halbmond mit Stern. Zum Thema „Plakat-Gestaltung“ zeichnen Gioia und Charlotte (Jg. 8) Porträts auf weißem Tonkarton. Die Gesichter werden in waagerechten Streifen eingeteilt und sollen möglichst viele verschiedene Hautfarben für die verschiedenen Ethnien zeigen.
Handicaps nachempfinden mit der „Lebenshilfe“
Mit verbundenen Augen, Blindenstöcke und Rollstühlen bewegen sich viele Schüler:innen durch das Schulgebäude. Ein paar Mädchen aus dem 6. Jahrgang sind auch unterwegs: Paulina meint: „Ich will neue Erfahrungen machen, obwohl sie schon sehr beängstigend sind.“ „Ich hatte gedacht, Rollifahren ist einfach. Aber wenn man erst mal über eine Türschwelle muss“, erzählt Amy, „erfährt man, dass man mehrere Anläufe braucht, um das zu schaffen.“
Und Filip erzählt: „Ich habe gelernt, dass Menschen mit Autismus manchmal schlauer sind als wir, aber auf einer anderen Art und Weise.“ Das wurde ihm von der „Lebenshilfe“ erklärt: „Das sind sehr nette Personen, die haben uns beigebracht, dass Menschen mit Handicaps sich nicht schämen brauchen, sie sollen sich bei der „Lebenshilfe“ melden, wenn sie Arbeit brauchen; Die kümmern sich dann darum.“
Vier Mitarbeiter:innen der „Lebenshilfe“ sind aus dem Kreis Viersen, Bereich Lobberich, an der Schule. Neben zwei Rollstühlen, Kopfhörern und einem Blindenstock brachten sie Bewohner:innen aus drei Wohngruppen mit; Jaqueline sagt: „Ich soll den Kindern beibringen, wie ich lebe.“ Jürgen: „Menschen mit Handicaps werden oft beschimpft und gemobbt. Das ist nicht gut. Das ist nicht richtig.“
Hugo aus dem 7. und Rümeysa aus dem 11. Jahrgang (EF) fassen zusammen, was sie gelernt haben: „Wir sollten erfahren, wie Menschen mit Beeinträchtigung sich fühlen, damit sie nicht mehr diskriminiert werden.“
Neben den gängigen Erfahrungen mit Rollstuhl und Blindenstock dienen die Kopfhörer dazu, die Gebärdensprache „zu verstehen“. Der Gehörsinn wird abgeschaltet, um nichts davon mitzubekommen, wie Klassenkamerad:innen sich über Karteikarten (schriftliche Anweisungen zur Gebärdensprache) austauschen, mit deren Hilfe sie dann die Gebärdensprache zeigen. Nicht so einfach, herauszufinden, was gemeint ist!
Anti-Diskriminierungsstelle
Unsere Abiturientin Ally Beeren ist in dem Team, das hauptsächlich aus Schüler:innen aus der Oberstufe besteht. Hier werden Ideen für die Einrichtung einer Anti-Diskriminierungsstelle an der Schule entwickelt: „Wo können sich die Schülerinnen und Schüler melden und Hilfe erhalten, wenn sie rassistischen Äußerungen auf dem Schulhof oder im Unterricht ausgesetzt sind? “, überlegt Ally. „Wir bearbeiten Fallbeispiele, wollen aufklären und präventiv arbeiten.“ „Das große Ziel ist es, ein Anti-Diskriminierungskonzept für die Gesamtschule zu entwickeln“, so Lehrer Philipp Sieben.
„Professioneller“ Song
„Wir rappen uns unsere Sorgen und Ängste von der Seele und überlegen, was man gegen Diskriminierung machen kann“, meint Kiara, die gerade, ebenso wie Jonas, die Schule mit dem höchsten schulischen Abschluss verlassen hat – und schon wieder da ist. Kiara: „Am Anfang haben wir uns gemeinsam für eine Grundstimmung in unserem Song entschieden, wir wollen alle einen melancholischen Rap.“
Professionelle Unterstützung kommt von 2Niklas und Fynn, die zum wiederholten Mal an der Gesamtschule Nettetal aktiv sind: „Wir wollen mit dem Medium Hip-Hop den Jugendlichen ein Sprachrohr geben und dabei vor allem gesellschaftliche Themen aufgreifen.“
- Quellen & Personen: aus dem Kreis der beteiligten Lehrkräfte (Bones, Dohmen, Gielkens, Mölder, Sieben, Steinforth, Woopen), der Lehramtsanwärterinnen (Akyol, Busch), der Sozialarbeiterinnen (Hendricks), der ehemaligen Lehrkräfte (Türks) und der Abiturient:innen (Ally Beeren, Kiara Schmidt und Jonas Kreetz) ↩︎
- www.hiphop-workshops.de ↩︎